Magnus Carlsen ist bei weitem nicht der einzige, der sich an einem historischen Vergleich der Schachweltmeister versucht (siehe letzter Beitrag). Da ein direkter Vergleich der Elo wegen der weithin angenommenen Eloinflation wahrscheinlich nicht sinnvoll ist und da es die Elo auch erst seit 1970 gibt, versuchte die Seite chess.com einen neuen Weg: Sie glich alle Züge aus allen Partien der Schachweltmeister mit einem Schachcomputer ab und untersuchte, wie oft die Schachweltmeister den stärksten Zug fanden. Dieser Computer Aggregated Precision Score (kurz CAPS) wird in Prozent angegeben. Das Ergebnis ist folgendes (die folgende Tabelle ist ein Auszug, die gesamte Tabelle gibt es bei chess.com):
Allgemein kann man also feststellen, dass die Spieler im Laufe der Jahre immer besser werden (je jünger ein Spieler im historischen Sinne ist, desto weiter oben erscheint er in der Regel im Ranking); vielleicht gibt es die Elo-Inflation also auch gar nicht und die Zunahme der Elo ist nur ein Ausdruck dieses Spielstärkezuwachses (?).
Trotz des großen Vorteils dieses Systems, dass man ein relativ objektives Kriterium hat (Magnus Carlsens Bewertungen im letzten Beitrag waren demgegenüber sehr subjektiv), sollte man sich auch folgender Schwächen dieser Bewertung bewusst sein:
- Man erhebt die Spielweise eines Schachcomputers wie Stockfish zum Non-plus-ultra des Schachs (eine komplette Übereinstimmung wären nämlich 100%). Dass auch Schachcomputer nicht unfehlbar sind, hat aber die KI Alpha Zero vor kurzem eindrucksvoll bewiesen.
- Der Faktor Mensch (v.a. Psychologie) wird nicht berücksichtigt. Man kann dies natürlich als Vorteil sehen, wenn man „nur“ objektiv messen will, wer die „besseren“ Züge spielt. Da Menschen aber keine Computer sind, halte ich dies für einen Nachteil.
- Die Bewertung eines Spielers hängt natürlich in erheblichem Ausmaße von der Partieauswahl und der Partieanzahl ab. Allerdings trifft dies auch auf jede andere Bewertung zu, sodass dieses Gegenargument weniger stark ist.
- Man wird den historischen Umständen nicht gerecht. Dass Magnus Carlsen die ersten Weltmeister in einem direkten Vergleich vom Brett fegen würde (was aus dieser Statistik hervorgeht), erscheint mir naheliegend und glaubhaft. Man muss aber berücksichtigen, dass Magnus Carlsen heute ganz andere Voraussetzungen hat. Er kann auf das Wissen vorheriger Generationen aufbauen und hat ganz andere Trainingsmöglichkeiten (u.a. eben mit einem Computer). Die Frage, die man sich stellen muss, wenn man die Schachspieler fair vergleichen will, muss doch lauten: Was hätte Magnus Carlsen erreicht, wenn er vor z.B. 150 Jahren geboren worden wäre und mit den Möglichkeiten der damaligen Zeit Schach gespielt hätte; was würde z.B. Wilhelm Steinitz erreichen, wenn er nicht vor ca. 150 Jahren, sondern vor ca. 20 Jahren geboren worden wäre und die heutigen Möglichkeiten hätte? Diese Fragen wird man zugegeben nie beantworten können und vielleicht wäre das Ergebnis ja auch trotzdem das gleiche – persönlich bezweifele ich aber, dass der erste offizielle Schachweltmeister es mit seinen Fähigkeiten heute nur zu einem durchschnittlichen Zweitliga-Spieler gebracht hätte.
Nichtsdestotrotz ist der von chess.com vorgeschlagene Vergleichsansatz interessant und vielleicht trotz aller Mängel der beste, den wir aktuell haben. Bedenken sollte man aber auch, dass solche Vergleiche nicht immer ganz ernst gemeint sein müssen, wie auch das Schach selbst ja „nur“ ein Spiel ist.